Greisverkehr
Jahreszeiten in der Stadt

Jahreszeiten in der Stadt

Hot town, summer in the city Back of my neck getting dirty and gritty

The Lovin Spoonful

Sommer in der Stadt

An heißen Sommertagen scheint es, als würde sich diese Stadt träge und faul an die Isar legen. Der verbliebene Rest Großstadthektik perlt dann wie Schweißtropfen an ihr ab und versickert zwischen den Kieseln.  Ein Schirm aus Kastanienblättern behütet ein buntes Völkchen heiter-melancholischer Vor-dem-Maßkrug-Hocker. Fast möchte man meinen, der kühlende Schatten hätte die Kraft, es so aussehen zu lassen, als wären alle gleich. Vielleicht liegt es ja auch am allgegenwärtigen Klirren der Gläser, das in manchen Ohren wie das Sonntagsläuten einer barocken Kirche klingt, dass man die Unterschiede nicht mehr hört. Wenn der Unterabteilungsleiter Hofstetter, die Krawatte nur noch lose auf Brusthöhe hängend, mit der Teamassistentin Brigitte nochmal die Charts für die morgige Präsentation durchgeht, hört es sich unter dem Kastanienhimmel ganz genauso an, wie das wohlig-verschwitzte Stöhnen über die Bluatshitzn vom Fonse, der mit seinem Gegenüber, dem Hans kommuniziert, indem beide in ihren Maßkrug hineinsprechen. Und wenn Björn und Dörte von der Unternehmensberatung „Beutel & Schneider“ über ihr Excel Sheet plaudern, wird am Nebentisch selbst der Bene fit, weil er nach der zweiten Maß immer nur „echter Shit“ versteht. Und sein irischer Kumpel Colin, hält das, was die Blaskapelle im Chinesischen Turm spielt schon seit dem ersten Bier für astreinen Punk.

An manchen Stellen gelingt es der Isar, die schwitzende Stadt auf Abstand zu halten. Beschaulich nennt man das wohl, wenn man dem Fluss beim Treiben zusieht. Allzu arg treibt er es ja nicht, er passt halt zu dieser Stadt. Wer sich hier an einem heißen Sommertag niederlässt, hat nur das von der großen Stadt dabei, was man für ein kurzes Leben zwischen Karwendel und Schwarzem Meer braucht. Nur Nicolae, der vorübergehend seinen festen Wohnsitz unter einer der Isarbrücken hat, ist für ein Stadtleben am Fluss eingerichtet und folgt an solchen Tagen in Gedanken dem Wasser bis in seine rumänische Heimat.

Derweil tanzt, singt und grillt im Westpark halb Afrika gegen die Trägheit der Sommerstadt an. Und mit den Rauchschwaden, die auch die für unsere Nasen spürbaren Überreste gegrillter Lämmer durch den Park tragen, zieht eine Ahnung durch die Stadt, dass das, was uns fremd schien, wie so vieles vorher schon, hier heimisch wird.

Und Abbas runzelt doch ein wenig die Stirn, als er vergnügt bemerkt, wie sich Herr Hofstetter schwitzend bemüht, Brigitte doch noch rumzukriegen. Es ist diese Sommerglut über der Stadt.

Die andere Seite der Stadt

Es gibt sie – diese geheimen Orte in der Stadt, an denen die Sommerglut heruntergekühlt wird auf eine Temperatur, von der behauptet wird, sie wäre ideal für die Menschen, die hier denken, reden, arbeiten, die Welt lenken sollen. Es hat wohl noch niemand untersucht, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Kühle dieser Orte und den Ergebnissen des Denkens und Handelns. Aber manch einer, der in den Genuss dieser Ergebnisse kommt, wird überzeugt davon sein, dass sich solche Studien finden lassen müssen, wenn man nur lang genug googelt.

In diesen Kühltruhen der Businesswelt fallen die Entscheidungen darüber, nach welchen Regeln diese Stadt zu funktionieren hat. Darüber, wer hier Platz haben soll und wer nicht. Darüber, wohin die Gelder abfließen, die übrigbleiben, wenn die letzte Maß unter den Kastanienhimmeln getrunken ist. Hier wird in Meetings so getan, als gäbe es etwas zu besprechen aber eigentlich macht man sich nur lustig über das dämliche Gesindel da draußen in der Sommerhitze, das einem jeden Schrott abkauft, solange es noch für einen Spritz oder eine Maß im Schatten reicht. In den Kühlhäusern wird ein Würfelspiel ohne Würfel gespielt. Wohin geht der Invest, welcher Handwerker wird sterben, welche Wiese zubetoniert? 28-jährige Senior Consultants bereiten in ihren Tiefkühlfächern die Charts vor, in deren Folge die 58-jährige Elisabeth ihren Arbeitsplatz verlieren wird.

Ob die coole Heike jemals den Vorstandsvorsitzenden in ihrem Loft empfangen wird, weiß man noch nicht. Bisher reicht es immerhin für die Wochenendfahrten im eigenen Cabrio an den Tegernsee. Sie ist jetzt Mitte 30 und will es bis ganz oben geschafft haben, bevor sie in zehn Jahren an ein Kind denken kann, das dann aber auch unbedingt dazugehört. Die Frauen, die ihre Einjährigen in die Krippe bringen und vor der Yogastunde mit ihrem SUV noch nach Grünwald auf einen Prosecco mit den anderen Müttern fahren, sind ihr heute noch etwas fremd.

Manch einer muss sich in dieser Welt noch mit einem Ventilator begnügen, will er sich vom hitzigen Stadtleben abkapseln und etwas abhaben von den Brosamen des Reichtums. Wie Herr Schwarzbauer, der in seinem schmierigen Anzug gerade, weit weg von seinem Kühlgerät, vor der Tür eines 18qm-Appartments für 800.-€ Kaltmiete steht, um Horden von Leuten mit Hunden, Kindern aber ohne Vorstandsposten zu verscheuchen.

Und im Rathaus wird darüber gegrübelt, wieviel in diesem Jahr die Maß auf der Wiesn kosten soll.

Herbstwind (nach der Wiesn)

Der Wind, der jetzt schon seit drei Tagen versucht, die Blätter von den Bäumen zu schütteln, scheint Wunder zu wirken. Die Stadt kommt langsam zur Ruhe. Mit dem ersten welken Laub sind auch die karierten Hemden und Lederhosen wie weggeblasen. Die jungen und alten Männer üben sich wieder im aufrechten Gang. Ihre Blicke, entlassen aus der Gefangenschaft bedirndlter Dekolletés, richten sich nun wieder mehr und mehr auf die bunte Welt ihrer Smartphonedisplays. Die Bewegungsrichtung ihrer Arme und Hände ändert sich allmählich vom vertikalen Heben zum horizontalen Wischen.
Es ist nur wenige Tage her, dass man an jeder Ecke der Stadt rapide alternde Menschen getroffen hat mit sich nach oben hin verjüngenden Kopfbedeckungen, eine weißblaue Kordel knapp oberhalb der schlaffen Krempe rund um das Gebilde geschlungen. Es schien immer so, dass diese Zauberhüte die Leute befähigten in fremden Zungen zu sprechen. Zumeist auf Kosten eines merkwürdigen Gesichtsausdrucks und Augen, die hilflos lallend eine Richtung suchten. Und diesen Zauberkräften war wohl auch zu verdanken, dass ihre Körper in der Lage waren, mit artistischer Grandezza all diese Schwankungen und durch Humtata und Oleoleole ausgelösten Beben des Bodens in der Stadt auszugleichen.
Verflogen all das! Wohl hat der Herbstwind ihre Hüte erfasst, davongetragen mit den welken Blättern. Vorbei die Fähigkeit, in trunkener Seligkeit mit Menschen aus aller Herren Länder in der gleichen Sprache, einfache Tonfolgen von sich gebend, das Glück des Rausches zu beschwören.
Jetzt kann er kommen, der Herbst. Mit seinem Farbenrausch. Ohne Humtata, ohne Oleoleole. Aber leider halt auch ohne die upgepushten Dekolletés der schönen Frauen. Aber es kommt ja eh bald wieder der Frühling…

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